Dranbleiberin, weil sich das Leben lohnt
Ich wurde 1977 geboren und war lange „einfach die Annette“. Bis im November 2020 Brustkrebs mein Leben auf Full Stop stellte. Von „einfach“ konnte keine Rede mehr sein. Es folgten Operation, Chemotherapie und Bestrahlung – zwischen Homeschooling und Homeoffice. Ich stellte mir die Frage nach dem Warum und drehte mich im Kreis. Ich funktionierte nur noch, um zu überleben. Viele sahen in mir die „starke Frau“ oder die „Kämpferin“. Doch das war ich nicht. Ich war
Krebspatientin. Nicht mehr. Und nicht weniger.
Nach der Akuttherapie fühlte ich mich für einen Minimoment wie eine „Heldin“. Aber das
Heldinnencape zog ich schnell wieder aus, denn eigentlich war es doch schlichtweg unsägliches Glück, das ich hatte. Ich erhielt noch viele Monate lang Antikörperinfusionen und befinde mich auch 2025 noch in der Antihormontherapie. Ich blieb also weiterhin Patientin. Aber wenigstens durfte ich mich „Survivor“ nennen. Aber Krebs ist ja bekanntlich ein mieser Verräter und schon morgen kann ein Rezidiv oder eine Neuerkrankung meinen „Survivor“-Status in den Pausenmodus versetzen. Der Begriff passte also auch nicht.
Wer also bin ich?
Ich fühlte mich seltsam fremd und gleichzeitig auch wohl in meiner Haut. Aber: Wer war diese Person, die ich da im Spiegel sah? Je länger dieses geschenkte Leben dauert, desto mehr habe ich nach einer Bezeichnung für diese Frau gesucht, die ich geworden war und nun bin. Kein Begriff passte wirklich, weder „Heldin“ noch „Survivor“, weder alt noch neu und auf gar keinen Fall „einfach die Annette“. Zu viel war passiert – mit mir, in mir und an mir. Und dann fand ich eine Bezeichnung, die mich sofort angesprochen hat: Dranbleiberin.
Dieser Begriff stammt aus der Marathonszene. Er soll Läufer:innen dazu motivieren, an ihrem Training dranzubleiben – auch wenn es regnet, die Beine schmerzen oder das Motivationstief kommt. Das passt doch wie die Faust aufs Auge, denn mein Nachkrebs-Schicksal hat sehr viel von einer Langstrecke.
Auf kurzen Sprintstrecken ist mein Leben definitiv hart und anstrengend. Aber diese
„Beißmomente“ zahlen sich aus, weil da noch so viel auf mich wartet. Wie zum Beispiel das coole Kampagnen-Shooting neulich in Frankfurt. „Einfach die Annette“ hätte gezögert und sich gefragt: „Kann ich das überhaupt?“ Die Dranbleiberin in mir rief: „Wird schon gut gehen!“, sagte zu und erlebte einen genialen Tag.
Ich bleib auf jeden Fall am Leben dran – um noch ganz lange am Leben zu bleiben. Und um auch immer wieder „einfach die Annette“ in mir zu spüren.